Freitag, 12. August 2005

Die Lulu-Katastrophe

„Wenn ich bloß in die Welt hinaus könnte“

Manche Besucher der Deutschen Oper halten sich mit großen Augen die Hand vor den erschrocken geöffneten Mund, trauen ihren Ohren nicht. Dabei steht mit der Wiederaufnahme einer 23 Jahre alten Inszenierung der Oper „Lulu“ eine unspektakuläre Rückschau des 20. Jahrhunderts auf dem Programm. Götz Friedrich war von 1981 bis zu seinem Tod 2001 hier Generalintendant und brachte die vervollständigte Fassung der „Lulu“, über deren letzten Akt Komponist Alban Berg gestorben war, nach West-Berlin.
Die Besetzung der namensgebenden Hauptrolle mit Alexandra von der Weth versprach nun eine Wiederholung des einstigen Erfolgs. Die Sopranistin mit dem Glasauge wird seit Ende der 90er in den großen dramatischen Rollen gefeiert und ist Expertin für das erotische Verderben geworden. Als laszive Musetta („La Bohème“) hat sie ebenso brilliert wie bereits als zügellose Lulu selbst. Und so war man auf eine beschauliche Aufarbeitung bereits geschlagener Schlachten eingerichtet.
Doch was dann am Montag Abend auf der Bühne geschieht ist nur dem verständlich, der weiß, dass von der Weth seit letztem Sommer mit Stimmproblemen kämpft. Ihr fehlt jede Durchschlagskraft. Ihre Artikulation schafft es kaum über den Graben in dem Ulf Schirmer das Orchester gnadenlos kräftig spielen lässt. Die Koloraturen verschwimmen. Im zweiten Akt wird klar, dass heute nicht Alexandra von der Weth versagt, sondern ihr Stimmapparat. Diese jaulende und krächzende Lulu hat keine erotische Ausstrahlung. Ihre Liebhaber sind heute nicht dem weiblichen Verführungsgeschick, sondern ihren eigenen Projektionen verfallen. Sie zerschellen an Lulu wie an einer Klippe. Will Hartmann als leidenschaftlicher Maler singt ebenso verzweifelnd wie Iris Vermillion als lesbische Gräfin Geschwitz tragisch. Heldentenor Robert Künzli bringt als Alwa mit viel Pomade und metallisch verkniffener Stimme die Wahnvorstellung ritterlicher Gesinnung treffend zum Ausdruck. Am komplexesten geht Alwas Vater Dr. Schön zugrunde: Bariton Franz Grundheber versteht es meisterlich die Bestimmtheit von Lulus Langzeitgeliebtem als Selbstschutz auszulegen. Auf dem Zenit seiner Tragödie, als der Doktor sein Schicksal wissentlich besiegelt und Lulu heiratet, eröffnet er uns sein Dilemma: „Wenn ich bloß in die Welt hinaus könnte“.
Dieser Satz wird leider zum Paradigma des Abends. Was auf der Bühne inszeniert werden soll, geschieht real. Das Bühnenbild – reichhaltige Collagen aus den Schauplätzen, dem Universum Alban Bergs sowie der Rahmenhandlung einer Zirkusmanege, - werden zur bizarren Kulisse des Untergangs nicht der Lulu, sondern der Sängerin. Aus dem irritierten Publikum sind nach der zweiten Pause bereits viele „in die Welt hinaus“.
Wünscht sich auch von der Weth an einen anderen Ort? Unverständlich, dass sie diesen Auftritt nicht, wie kürzlich oft geschehen, absagte. Dass die Abendleitung eine Sängerin in dieser Verfassung durch eine der schwersten aller Opernpartien schickt, ist eine Unverschämtheit dem Publikum gegenüber.

Beethovenstreichquartette sind wie Tomatensosse

Beethovens Streichquartette sind wie Tomatensoße. Sie sind heute Kernrepertoire, ebenso alltäglich wie anspruchsvoll. Dadurch werden sie zum Prüfstein. Eine Tomatensoße verrät alles über ihren Koch.
Es war also mutig, dass acht Stipendiaten der Orchester-Akademie der Berliner Philharmoniker sich mit Beethoven vorstellten und in zwei Formationen im Kammermusiksaal der Philharmonie schonungslos offen legten, was sie in zwei Jahren an der Philharmonie gelernt haben.
Elsa Brown, Anna Gebert, Ernst-Martin Schmidt und Inga Raab zeigten im Quartett op.59 Nr.2, dass sie im Heldentopos schwelgen können. Sie pflegten einen dynamisch höchst genauen Stil. Ihre Notentreue war jedoch übertrieben und betonte Unsauberkeiten der Violinen wie das viel zu schroffe „Théme russe“ des dritten Satzes unnötig. Besonders dem frühen Quartett op.18 Nr.6 fehlte das Eigene.
Gut werden Tomatensoßen nur dann, wenn man etwas eigenes dezent hinzufügt. Die geheime Zutat. Manche Köche schwören auf eine Messerspitze Zimt.
Das zweite Ensemble des Abends fand diese Zutat. Durch enorm viele Blickkontakte erreichten Karin Löffler (2.Vl.) und Raphael Sachs (Br.), sowie David Delacroix (Cl.) Präzision und Übersicht im ausufernden Quartett op. 132. So konnten sie die Brillanz der ersten Violine (Karina Canellakis) mit den zahlreichen Vieldeutigkeiten der späten Komposition Beethovens versöhnen.
Mit den Musikern ist es wirklich ganz wie mit den Köchen, es mangelt nicht an jungen Talenten, sondern an Stellen für sie.

Mittwoch, 10. August 2005

"Wenn die Musik der Liebe Nahrung ist, spielt weiter, gebt mir volles Maß!" - Shakespeare und Mahler beim Young.Euro.Classic-Festival

Unter der Leitung von Marc Piollet brillierten die jungen Nachwuchsmusiker des "Junge Symphonie Berlin"-Orchesters gestern Abend im Konzerthaus am Gendarmenmarkt in Berlin.

Als Pate der Veranstaltung trat der bekannte Film- und Theaterschauspieler Dietrich Mattausch auf. In seiner Rede erinnerte dieser an den im Titel zitierten Satz von William Shakespeare aus dessen Stück "Was ihr wollt" und lobte damit das Motto des Abends aus.

Es gab zunächst ein Stück von Heitor Villa Lobos aus Brasilien, die "Bachiana Brasiliera Nr. 4". Leider liess die Interpretation von Piollet und seinem Orchester jene brasilianisch inspirierte Folkore vermissen, die den Werken dieser Art von Lobos angeblich innewohnt.

Im Anschluss erklang Gustav Mahlers "Symphonie Nr. 9", die Mahler erst kurz vor seinem Tod im Jahre 1909 fertigstellte und deren Uraufführung er nicht mehr erlebte.

Sehr gelungen kam die Vielseitigkeit und Ganzheitlichkeit Mahlers hierbei zur Geltung. Zuerst durchwühlte das Orchester im ersten und zweiten Satz den musikalischen Boden wie ein Pflug das noch unbestellte Feld. Im dritten Satz wurden die entstandenen Fragmente kunstvoll wieder zusammengeführt, der vierte Satz schließlich entlohnte Musiker und Zuhörer für die geleistete Arbeit mit einem versöhnlichen Ende.

So wurde klar: Mahler komponierte für Welten. Wenn einer die Schöpfung hätte vertonen können, er wäre es gewesen!

Das "Young.Euro.Classic"-Festival findet im Konzerthaus Berlin noch bis zum 22. August 2005 statt.

Weiter Infos gibt es unter:
http://www.young-euro-classic.de/

Dienstag, 9. August 2005

Danke Anna! - zur Premiere von 'La Traviata' bei den Salzburger Festspielen

Anlässlich der sogar im Free-TV übertragenen Premiere von 'La Traviata' mit Superstar Anna Netrebko bei den diesjährigen Salzburger Festspielen geraten die Feuilletons in Schwingung:

Die "knuffig-knusprige" Netrebko versetzt die "FAZ" in Verzückung: "Danke, Anna!". Die "NZZ" seufzt: "Mon Dieu, welche Aufregung" und die "SZ" gesteht "Überraschung und Glück" beim Hören und Betrachten der "Traviata" in Salzburg. Der allgemeine Tenor: Alles in allem eine reife Leistung von Anna und Co-Star Rolando, die für eine von kraftvoller Physis und Jugendlichkeit geprägte Verkörperung ihrer Figuren sorgten.

Gruselig geriet allerdings die Rahmenhandlung der ARD-Übertragung, in deren Mittelpunkt ein inbrünstig schauspielernder Rolando Villazon dem geneigten Zuschauer die Handlung der drei Akte erklärte. Vorab wohlgemerkt. Die ARD schien nicht vorauszusetzen, dass das spätabendliche Publikum sich zuvor mit dem Stück hinreichend auseinandergesetzt hatte.

Gottseidank verzichtete man anschließend darauf, O-Töne von entzückten A- und B-Promis einzufangen und über den Äther zu schicken. Mit dem Fall des Vorhangs und den darauf folgenden Ovationen des Publikums fiel auch die Klappe im TV.

Eine DVD erscheint natürlich demnächst.


anna netrebko
La traviata - Salzburger Festspiele 2005

Besetzung: Anna Netrebko (Violetta Valery), Rolando Villazón (16. 8.: James Valenti) (Alfredo Germont), Thomas Hampson (Giorgio Germont), Dirigent: Carlo Rizzi.
Aufführungsdaten: 10., 13., 16., 20., 23., 27. 8. 2005, Großes Festspielhaus, 19.30 Uhr.

Donnerstag, 28. Juli 2005

Willkommen zum Opernblog!

Dieses Blog ist allen Freunden und Liebhabern
klassischer Musik gewidmet. Auf seinen Seiten können neue und alte Aufnahmen diskutiert, aktuelle Termine angekündigt oder einfach Besuche von Veranstaltungen klassischer Musik besprochen werden.

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